Wenn es draußen nicht klappen will…
Kennt ihr das?
Beim Training zu Hause funktioniert alles perfekt, auch auf dem Hundeplatz unter Aufsicht ist dein Hund ein Musterschüler – aber im Alltag, während des Spaziergangs, verhält er sich anders, hört nur, wenn er Lust hat, geht auf die Jagd oder pöbelt sogar andere Hunde an?
Stellt sich die Frage, ob die Ausbildung versagt, das Trainerkonzept nicht mehr passt oder die Belohnungen plötzlich nicht mehr ausreichend sind. Faszinierende Fragen, die so mancher Hundehalter sich ab und zu stellt.
Neben diversen Verstärkungsformen spielen soziales und emotionales Lernen sowie gemachte Erfahrungen eine bedeutende Rolle. Vielleicht solltest du dich als Mensch fragen, wie du dich beim Training verhältst und auch beim Spaziergang – nur als erste Überlegung.
Beim Training bist du meistens fokussiert, hast die richtige Ausrüstung dabei, planst vorausschauend und kannst die Umgebung, Ablenkungen und Trainingsmotivation gut einschätzen.
Beim Spaziergang möchtest du wahrscheinlich einfach entspannen, die Seele baumeln lassen, den Tag planen oder ausklingen lassen. Aber was macht der Hund, wenn du nur “bereitschaftsbereit” bist? Richtig – er taucht in seine Welt ein, ignoriert dich und beschäftigt sich mit spannenden Dingen für ihn. Im Gegensatz zu uns Menschen muss ein Hund nicht abschalten; der Spaziergang ist oft ein aufregendes Ereignis für ihn, mit viel zu sehen, zu schnüffeln und aufregenden Momenten, wenn andere Hunde auftauchen oder vielleicht Wild sichtbar oder riechbar ist.
Da du als Mensch gerade mit deinen Gedanken beschäftigt bist, nutzen viele Hunde diese Gelegenheit, um sich selbst zu beschäftigen und dich zu ignorieren. Wäre es nicht großartig, wenn unsere Hunde auf Ansprache aus ihrer “Welt” während des Spaziergangs leicht zu dir kommen würden? Wenn sie, wenn sie etwas interessantes sehen, wie andere Hunde, stehen bleiben oder sogar zurückkommen und Kontakt aufnehmen würden?
Sollten unsere Welten erhalten bleiben und wir uns je nach Bedarf in der Mitte treffen, um schwierige Situationen gemeinsam zu meistern? Ein Wunsch, der erarbeitet und aufrechterhalten werden muss.
Zum einen benötigt dein Hund die Idee, dass die Kontaktaufnahme mit dir sich immer lohnt und er dafür Aufmerksamkeit, soziale Interaktion, Belohnungen und Spiel bekommt. Wenn du dieses gewünschte Verhalten von Welpenbeinen an verstärkst, legst du den Grundstein für ein gutes Alternativverhalten.
Diese alternativen Verhaltensweisen müssen gepflegt und beibehalten werden. Oft fragen sich Hundehalter, wann sie endlich die Leckerlis beim Spaziergang reduzieren können und “normal” sein können. Die genaue Antwort lautet: Gar nicht!
Natürlich entwickeln sich Routinen, gewünschtes Verhalten wird gefestigt, Vertrauen und Sicherheit werden gestärkt. Trotzdem ist es wichtig, dieses “besondere Geschenk” aufrechtzuerhalten. Wenn dein Hund zu dir kommt, sollte er gerne mit aufrichtiger Freude überrascht werden – sei es durch eine ausgiebige Kuscheleinheit als gemeinsame Auszeit beim Spazierengehen, ein überraschendes Spiel mit einem Gegenstand oder ein Suchspiel. Das bedeutet nicht, dass dein Hund dauerhaft unterhalten werden muss – keineswegs! Es geht darum, dass er immer wieder Kontakt zu dir aufnimmt und im Idealfall Ablenkungen anzeigt und kooperiert, wenn du das wünschst. Und um ehrlich zu sein: Schadet es, ab und zu einen guten Rückruf mit einer Futterbelohnung zu verstärken?
Allerdings muss ich einschränkend sagen, dass eine gänzlich freiwillige Kooperation des Hundes nicht gewährleistet, dass ein harmonisches Zusammenleben und eine gute Beziehung möglich ist. Akzeptiere das, wenn du wahre Zuverlässigkeit möchtest. Engagement von deiner Seite und vom Hund sowie konsequentes Durchsetzen von Regeln oder Anweisungen durch den Menschen sind das Geheimnis einer stabilen Beziehung im Freien. Allerdings haben Hunde auch viele Strategien, um einer gewissen Verbindlichkeit zu entkommen – oft auf charmante Weise mit einem liebevollen Blick und einem süßen Kuss.
Kürzlich hatte ich die Gelegenheit hautnah zu erleben, welche Strategien Hunde einsetzen, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen und wie geschickt sie versuchen, uns zu manipulieren. Gerne teile ich diese Erfahrungen mit euch, um eure Perspektive vielleicht zu schärfen oder euch dazu anzuregen, selbst aktiv zu werden und eure Außenbeziehung positiv zu verändern.
Für einige Tage war Sina unser Gast. Eine äußerst entzückende 2‑jährige Dalmatiner-Hündin, die wir seit ihrer Welpenzeit kennen und mit der es keine Probleme gibt, auch nicht in Anwesenheit unserer beiden Hunde. Im Haus ist sie aufmerksam und problemlos, und wenn man sich im Garten oder auf dem Hundeplatz mit ihr beschäftigt, kann sie ein Musterschüler sein, voller Freude und Motivation.
Dennoch zeigt sie, wenn sie etwas nicht will, ihren Unwillen, indem sie die Aufgabe verweigert. Dies tut sie jedoch so charmant und offensichtlich “leidend”, dass sie jedes Herz zum Schmelzen bringt.
Während eines Spaziergangs zeigt sie ein anderes Verhalten. Ohne Leine bewegt sie sich fast ohne Beachtung des Menschen in großen Kreisen. An der Leine ist sie sehr mit ihrer Umgebung beschäftigt und schenkt dem Menschen ebenfalls keine Aufmerksamkeit. Aber wenn andere Hunde auftauchen, kann sie loslegen und aus Frust, dass sie nicht zu ihnen darf, ein lautes Konzert mit vollem Körpereinsatz geben.
Ganz ehrlich gesagt — unabhängig davon, dass sie aufgrund ihrer mangelnden Zuverlässigkeit nicht ohne Leine laufen darf, hat mich ihr Verhalten an der Leine ziemlich gestört. Während ihrer “Urlaubszeit” bei mir habe ich mit ihr gearbeitet. Ich möchte betonen, dass sie bereits viele Übungen aus dem CreaCanis Roots-Programm gut beherrscht und sie auch ohne Ablenkung freudig ausführt.
Erstens war es mir wichtig, dass sie auf ihren Namen reagiert. Natürlich weiß sie genau, wie sie heißt, aber wenn die Umwelt interessanter ist, fällt die Kontaktaufnahme schwer. Also stellte ich mich vor sie und sprach sie mit ihrem Namen an. Sie schaute direkt an mir vorbei und versuchte, an mir vorbeizugehen, praktisch aus Versehen. Ich versperrte ihr den Weg und drängte sie leicht zurück, sodass sie dann, eher aus Empörung, Kontakt aufnahm. Ein Lob war die Folge, und wenn der Kontakt zu mir bestehen blieb, gab es eine Futterbelohnung, die sie gerne annahm, nur um nach der Futterbelohnung wieder an mir vorbeigehen zu wollen. Hierbei musste sie durch meinen konsequenten Körpereinsatz zurückgedrängt werden.
Sina lernte im Freien, dass es nach dem Keks vor dem Keks ist und dass sie sich erst auf ein Freigabesignal von mir entfernt, nachdem sie das Hörzeichen gehört hat.
Die zweite Lektion bestand darin, dass sie sich umdreht, wenn sie vor mir unterwegs ist, und auf das Hörzeichen “zu mir” auf direktem Weg zu mir kommt. Sie entwickelte viele Strategien, um es nicht sofort tun zu müssen. Zum Beispiel tat sie so, als hätte sie ihren Namen nicht gehört. Das führte dazu, dass ich sie mit der Leine ruhig zu mir holte. Wenn sie den Blickkontakt verweigerte, wartete ich und ließ sie nicht weitergehen, bis sie Kontakt aufnahm. Wenn sie versuchte, einen Bogen um mich zu laufen, ließ ich das nicht zu. Unterstützung von Denzel, der sie gleich korrigierte, als sie nicht direkt zu mir kommen wollte und stattdessen in ihn hineinrannte, sicherte den direkten Weg zu mir.
Nachdem sie es verstanden hatte, kam sie auf direktem Weg, wollte aber an mir vorbeigehen oder um mich herumlaufen. Ich ließ das nicht zu, und bald wollte sie von sich aus immer die Seite wechseln. Es war harte Arbeit für Mensch und Hund und sehr interessant zu sehen, welche Strategien der Hund entwickelte, um sich durchzusetzen.
Weitere Aufgabe: Sina liebt es, vor dem Menschen von links nach rechts zu pendeln. Dabei nimmt sie keine Rücksicht und schneidet einem gerne den Weg ab. Das mag normal klingen, aber auch provokativ. Ich achtete darauf, dass sie nur auf einer Seite lief und begrenzte sie körperlich, wenn sie wechseln wollte. Die Leinenführigkeit wurde daraufhin viel besser, und sie konnte sich entspannen.
Das nächste Projekt: Sie kennt das Hörzeichen “Platz”, kann es ausführen (wenn sie will) und auch liegen bleiben (solange sie will). Ich wollte, dass sie auf das Hörzeichen “Platz” genau dort Platz macht, wo sie gerade ist, und erst dann wieder aufsteht, wenn sie das Freigabesignal bekommt. Das war für mich eine Aufgabe, ruhig zu bleiben, keine Energie in Fehlverhalten zu investieren, mich aber dennoch durchzusetzen und das richtige Verhalten verbal positiv zu bestärken. Dazu gehört Geduld, Wissen und auch etwas Abgrenzung vom Hund, wenn er sein schlimmstes “leidendes” Gesicht aufsetzt. Keine geheimen Methoden, sondern viel Konsequenz sind nötig, und der Hund muss genau wissen, was von ihm erwartet wird und wie er es ausführen soll.
Der Hund findet es dann toll, wenn das richtige Verhalten durch eine lustige Spielsession aufgelöst wird. Sina hat schnell verstanden, dass es besser und auch für sie lohnender ist, das Hörzeichen auszuführen und dann eine positive Verstärkung zu bekommen.
In der Zwischenzeit sind wir in der freien Natur zu einem echten Team zusammengewachsen. Sie nimmt immer öfter von alleine Kontakt zu mir auf und lächelt mich an. Wir begannen mit dem letzten Projekt – an meiner Seite laufen, genau auf der Seite, die ich zuvor angegeben hatte. Nicht vor mir, nicht hinter mir und nicht hinter mir auf die andere Seite wechseln, auch nicht für die nächsten 50 Meter schnüffeln. Eine echte Herausforderung, aber sie verstand es sehr schnell. Es ergibt Sinn, den Hund manchmal vor die Brust zu nehmen und ihn zurückzuschieben oder ihn durch Drehen des Körpers ein paar Schritte rückwärts zu bewegen. Hierbei sind ruhiges soziales Lob und Standhalten des Hundes, wenn der Mensch stehen bleibt, wichtig. Ein deutliches Freigabesignal beendet die Übung, und der Hund darf wieder in seine Welt.
Geschafft! Alle wichtigen Elemente für einen entspannten Spaziergang wurden erarbeitet und müssen nun regelmäßig abgerufen und geübt werden. Alle Strategien des Hundes wurden durchschaut und so geformt, dass der Mensch das Sagen hat. Nun geht es an das eigentliche Problem – Hundebegegnungen.
Und was soll ich sagen? Das Problem hat sich durch die richtige Führung quasi in Luft aufgelöst. Sina blieb in der Platz-Position liegen, als ein anderer Hund dicht vorbeiging, oder sie konnte an meiner Seite laufen und einen anderen Hund passieren, ohne auszurasten.
Die Moral von der Geschichte: Bekämpfe nicht die Symptome, sondern arbeite an den Ursachen.